Während mit jeder technischen Errungenschaft das Leben für uns Menschen angenehmer wird, ist zivilisatorischer Fortschritt leider allzu oft mit Naturzerstörung und
einem Rückgang der Artenvielfalt verbunden. Das aber auch manche Tier- und Pflanzenarten eine Gefahr für den Fortbestand anderer Arten darstellen, ist zumindest für uns in Europa relativ neu.
Während in anderen Teilen der Welt unter anderem durch importierte Haustiere bereits ganze Arten ausgestorben sind, rückt die Problematik der sog. invasiven Arten hierzulande erst allmählich in
den Fokus der Öffentlichkeit.
Wissenschaftlich werden mit dem Begriff Neobiota Arten bezeichnet, die sich durch menschliches Zutun in Regionen etabliert haben, in denen sie zuvor nicht heimisch
waren. Unterschieden wird zwischen invasiven Pflanzen- (Neophyten) und invasiven Tierarten (Neozoen). Weiterhin wird zwischen unterschiedlichen Ausbreitungsarten unterschieden – entweder
unbeabsichtigt (etwa durch den weltweiten Güterverkehr) oder beabsichtigt, wie durch den internationalen (oft illegalen) Tierhandel oder das Einführen nicht-heimischer Arten als Nutztiere,
Pelzlieferanten oder natürliche Schädlingsbekämpfer.
Von invasiven Arten wird allerdings nur dann gesprochen, wenn sich diese fest etablieren konnten, also fortpflanzungsfähige Populationen bilden und sich in ihrer
neuen Heimat ausbreiten. Auch dann müssen fremde Arten nicht zwingend eine Gefährdung heimischer Tiere und Pflanzen darstellen. Problematisch wird es, wenn die Neuankömmlinge dieselben
ökologischen Nischen besetzen wie heimische Arten, hier aber erfolgreicher Auftreten, da sie sich z.B. aggressiver verhalten oder höhere Fortpflanzungsraten aufweisen. Als Beispiele aus der
Vogelwelt seien hier die aus Afrika stammende Nilgans oder der südasiatische Halsbandsittich genannt, die zum Teil heimischen Vögeln Futterangebot und Brutplätze streitig machen.
Aktuell gelten in Deutschland etwa 400 gebietsfremde Pflanzenarten als beständig etabliert, 40 dieser Neophyten bezeichnet man als „invasiv“. Bei den Neozoen sind es ca. 260 Arten, darunter 30 Wirbeltiere. Bekannte Beispiele unter den Säugetieren sind unter anderem die Nutria (ein aus Südamerika stammendes Nagetier) sowie der Waschbär. Bei den Amphibien breitet sich der Nordamerikanische Ochsenfrosch seit einigen Jahren immer weiter aus, bei den Krebstieren bedrohen amerikanische Signal- und Kalikokrebse die Bestände des heimischen Edelkrebses.
Neobiota stellen jedoch nicht nur eine Gefahr für andere Ökosysteme dar. Auch für uns Menschen können sie gefährlich werden, wenn sich etwa durch die globale Erwärmung krankheitsübertragende Moskitos in Gebieten ausbreiten, welche diese früher nicht besiedeln konnten. Von manchen Neophyten ist bekannt, dass diese Allergien auslösen können. Auch für die Wirtschaft sind die Verluste durch invasive Arten enorm – Schätzungen zufolge betragen die Kosten der jedes Jahr durch Neobiota verursachten globalen Schäden mehrere hundert Milliarden Dollar.[1]
Während bezüglich der von gebietsfremden Arten ausgehenden Gefahren weitgehend Einigkeit herrscht, sieht es hinsichtlich der Lösung des Problems schon anders aus. Vielerorts haben sich gebietsfremde Arten bereits so lange etabliert, dass viele Menschen sie längst für heimisch halten.[2] Sind die angerichteten Schäden evident, muss über eine Eindämmung bzw. Bekämpfung der Invasoren nachgedacht werden. Dabei sind solche Maßnahmen oft sehr kostspielig und die Erfolgsaussichten alles andere als sicher. Ein besonderes Dilemma ergibt sich im Naturschutz, bei der Frage, wer mit welchen Mitteln bekämpft werden darf und sollte. Während das Vorgehen gegen invasive Pflanzen sowie die meisten Insekten und Wirbellosen wenig infrage gestellt wird, tun sich Artenschützer oft schwer damit, Menschen von der Notwendigkeit einer Bejagung von Sympathieträgern wie Waschbär oder Nutria zu überzeugen.
Letztlich geht es auch um eine philosophische Frage: Gegner von Bekämpfungsmaßnahmen argumentieren, man müsse die Ausbreitung von Arten als natürlichen Vorgang begreifen. Anstatt von statischen Systemen auszugehen, seien Vorgänge in der Natur als dynamische, sich ständig verändernde Prozesse zu akzeptieren. Eine solche Argumentation lässt jedoch außer acht, dass die Probleme letztlich immer durch menschliches Handeln verursacht werden. Eine der obersten Prioritäten im Artenschutz sollte daher die Prävention haben, um zu verhindern, dass die Bedrohung durch invasive Arten im Zuge der Globalisierung künftig weiter zunimmt.
Text: Dr. Marco Mora / NABU Euskirchen
[2]Bekannte Bespiele sind das Wildkaninchen (ursprünglich aus Südwesteuropa), Fasan (aus Zentral- bzw. Ostasien) sowie der Damhirsch (aus Vorderasien und evtl. Südosteuropa).